§ 4 - Die zweite Generation - Ludolf v. Blücher

    Es war für die meklenburgischen Lande ein grosses Glück, dass auf die furchtbaren Kämpfe, in denen das Wendenthum dem deutschen Wesen und dem Christenthum erlag, und auf die siegreiche Abwehr der dänischen Eroberungsgelüste eine lange Zeit der Ruhe und des Friedens folgte.  Die natürliche Spannung zwischen dem wendischen Fürstenhause Meklenburgs und den eingewanderten deutschen Grafen hatte nachgelassen, die von Dänemark her drohende gemeinsame Gefahr hatte sie einander näher gebracht, und dadurch, dass der einzige Sohn des Grafen Heinrich I. von Schwerin, der junge Günzel III., sich (1230) mit Margarete, der Schwester der vier jungen meklenburgischen Herren, verlobte, ward das schwerinsche Grafenhaus gleichsam in das meklenburgische Fürstenhaus hineingezogen. Die wendischen Fürsten selbst waren zu deutschen geworden. Hatte schon Pribislav I. die Unmöglichkeit erkannt, "wider den Stachel zu lecken", so hatte sein Sohn Burwin I. die Aufgabe, durch die Einführung und Förderung deutschen Wesens, deutscher Sitte und deutschen
Rechtes die Trümmer seines Volkes vor dem Untergange zu bewahren und zu verjüngen, völlig begriffen und beharrlich verfolgt, und seine Enkel wirkten in gleichem Sinne eifrig fort.  Wir nehmen in der Entwickelung des öffentlichen und des Privatlebens in der Grafschaft Schwerin und in den eigentlich meklenburgischen Gebieten keinen weiteren Unterschied wahr, als dass im Allgemeinen unter dem oben berührten Verlauf der Dinge das südwestliche Meklenburg, die Grafschaft Schwerin, am schnellsten völlig germanisirt ward und für die Entwickelung Meklernurgs in mancher Hinsicht ein Vorbild abgab. Dass im westlichen Meklenburg die Bischöfe von Ratzeburg und von Schwerin mit ihren Dom-Capiteln residirten, und dass die reiche Handelsstadt Lübeck, mit ihrer vorgeschrittenen Cultur hier zunächst einwirkte, gab einstweilen, bis die Klöster Dargun und namentlich Doberan erstarkten, die Städte, welche von Schwerin ihr Stadtrecht empfangen hatten, aufblüheten, und vornehmlich Wismar und Rostock zu ebenbürtigen Schwestern der alten Handelsstadt Lübeck, ihres
Vorbildes, heranwuchsen, dem Westen des Landes rücksichtlich der Culturentwickelung ein bedeutendes Uebergewicht über den Osten.  Die hervorragende Stellung, welche der Graf Heinrich I. von Schwerin in der dänischen Fehde eingenommen hatte, das Verdienst, welches er sich durch die Zertrümmerung der dänischen Herrschaft im Norden der Elbe zugleich um das deutsche Reich erwarb, hatten seiner Grafschaft einen berühmteren Namen gemacht, als sie ihrem Umfange nach verdiente; und die Persöhnlichkeit seines Nachfolgers, des Grafen Günzel III., war wohl geeignet, diesen Glanz zu bewahren.  Zu grossen politischen Thaten fand Günzel freilich keine Gelegenheit; aber Zeitgenossen preisen seine Liebe zur Kunst und seine Pflege ritterlicher Hofsitte.
    Unter den Mannen und am Hofe dieses Grafen erblicken wir nun die zweite Generation der Familie von Blücher.
    Im Jahre 1234 begegneten wir zum letzten Male dem lüneburgischen Ministerialen Ulrich, nur drei Jahre später zeigt sich das erste Mitglied der zweiten Geschlechtsfolge, Hermann von Blücher, den man, wie sich alsbald ergeben wird, bis zum Jahre 1264 verfolgen kann.  Im Jahre 1244 aber werden in einer am 14.  Juni zu Medingen ausgestellten Urkunde, vermittelst welcher die Ritter Gebhard und Werner zu Lovenborch dem Kloster Medingen unter andern Hebungen auch eine Kornhebung aus der Mühle zu "Carpentin" verleihen neben andern Zeugen "Ludolfus, Hermannus, Johannes de Bluchere" genannt.
    Mehr als diese drei Männer werden in dem Zeitraume von 1237-1257 aus der Familie, deren Geschichte uns beschäftigt, nicht namhaft gemacht, und leider werden sie weder als Söhne Ulrichs, noch auch als Gebrüder bezeichnet.  Aber freilich verbietet auch die damals übliche Kürze der Urkundensprache nicht, sie als Brüder anzusehen; bald fügten die Concipienten das Wort "fratres" hinzu, bald nicht, selbst nicht einmal immer, wo sie die Urkunden auf Befehl zweier fürstlichen Brüder abfassten.  Ferner unterstützt die Wahrnehmung, dass in der dritten Generation drei Bruderpaare die Namen Ulrich und Hermann trugen, die schon ohnehin verstattete Vermuthung, dass sie, wie wir schon äusserten, als Enkel Ulriclis I. und Söhne der drei Männer, über welche wir jetzt reden, anzusehen sind.  Endlich darf man aus dem Umstande, dass alle drei von Blücher zu einer Verhandlung über die Mühle zu Karrentin, die nur wenig nördlich von Blücher und der Blüchermühle (jetzt Mühle zum Hühnerbusch) an der Schale liest, wohl den Schluss wagen, dass sie noch alle drei in der Nähe, auf dem Stammgute Blücher, wohnten.  Und geht man davon aus, dass bei der Aufzählung von Zeugen in den Urkunden, wie der Würde, so auch dem höheren Alter der Vorzug gegeben zu den pflegte, so darf man Ludolf als den ältesten und Johann als den jüngsten jener drei muthmasslichen Brüder betrachten.
    Glücklicher Weise beschränkt sich unsere Kunde von diesen Männern aber nicht auf jene eine Urkunde, welche wenig mehr als ihr Dasein berichtet; vielmehr können wir uns Lus andern belehren lassen, dass sie unter den schwerinschen Vasallen auch eine ehrenvolle Stelle einnahmen.
    A. Der Ritter Ludolf (oder Lüder, wie dieser oft wiederkehrende Name in der Familie von Blücher gewöhnlich lautete, bis er in der Sukower Linie in "Ludwig" umgedeutet ward) wird auch schon vor 1244 genannt.  Zu Anfang des Jahres 1241 begleitete er nämlich mit "andern Rittern von Schwerin", mit Eberhard von der Möhlen und Dietrich Schackmann (aus dem Boizenburgischen), den Grafen Günzel III. auf dessen Fahrt zu seinem Schwager, dem Fürsten Nicolaus I. von Werle, nach Güstrow, und ward als Begleiter des fürstlichen Gastes dort der Ehre gewürdigt, in einem dem Kloster Eldena ertheilten wichtigen Schenkungsbriefe, den der Fürst Nicolaus am 18.  Januar in einer grossen Versammlung gab, unter den Zeugen seinen Platz zu finden.  Im Juni desselben Jahres sehen wir Ludolf dann noch einmal bei demselben Grafen, als dieser zu Boizenburg der seit dem gemeinschaftlichen Befreiungskriege gegen Dänemark seinem Hause eng befreundeten Stadt Lübeck die von seinem Vater verliehene Befreiung von Handelsabgaben bestätigte.  Der Graf Günzel gab etwa um dieselbe Zeit, um den Handel in seinem Lande zu beleben, auch der Stadt Hamburg die Schifffahrt auf der Elde, so weit sein Gebiet reichte, frei und erliess ihr seinen Elbzoll zu Boizenburg; und wiederum treffen wir in der kurzen Zeiigenreihe den Namen "Luderus de Bluchere" - Merkwürdiger Weise betrifft aber auch die letzte Urkunde, welche Ludolfs Namen nennt, Handelsangelegenheiten.  Es ist das Privilegium vom 2. Januar 1248, in welchem der Herzog Albrecht von Sachsen das Geleitsgeld für die Waaren auf der Strasse zwischen Salzwedel, Lübeck und Hamburg festsetzte. Der Graf von Schwerin war zu dieser Verhandlung nicht erschienen, dagegen die Grafen Johann und Gerhard von Holstein und der Graf Adolf von Dannenberg nebst zwei Rittern, die keine schwerinsche waren, und endlich auch Ludolf von Blücher.  Dieser kam gewiss nicht im Gefolge der Grafen von Holstein; denn wenn auch neuere Genealogen sogar so weit gegangen sind, Holstein für die ursprüngliche Heimat der Familie von Blücher auszugeben, so ist doch gewisse dass, nach den bisher bekannt gewordenen Urkunden zu urtheilen, während des ganzen Mittelalters kein Mitglied dieses Geschlechtes in Holstein gewohnt hat; und eben so wenig wissen wir etwas von einem Lehnsverhältniss desselben zu den Grafen von Dannenberg.  Es bleibt demnach nur die Annahme übrig, dass der Graf von Schwerin seinen ortskundigen und zuverlässigen Ritter Ludolf von Blücher zu dieser Verhandlung abgeordnet hatte.
    Damit aber verschwindet nun Ludolf aus unserm Gesichtskreise; bald hernach sehen wir seinen Platz am Hofe seines Grafen durch seinen Bruder Hermann ausgefüllt.

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